2009|02 JOSEF BAUER ( 1934 – 2022 ) buchstäblich – handgreiflich

josef bauer – produktion – seite 7-12 in neue texte 22, herausgegeben von heimrad bäcker, stockwiesen 13, A 4040 linz druck: rema print, lange gasse 42, 1080 wien

diese ausgabe wird von der galerie wuensch aircube angeboten
josef bauer – textbilder – neue texte 11, november 1973 – herausgegeben von heimrad bäcker, stockwiesen 13, A 4040 linz, druck: buchdruckerei ottensheim, linzerstrasse 11, A 4100 ottensheim

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TAKTILE POESIE

JIRI VALOCH

…ich bin nämlich, wohl schon an die vierzig jahre lang, der überzeugung, dass JOSEF BAUER einer der wichtigsten künstler ist, der auf sehr originelle weise die beziehungen zwischen den phänomenen des visuellen textes repräsentiert. durch die aktualisierung der haptischen qualitäten und der konzeptuellen, semantischen auffassung des schaffens, dessen bestimmende komponente die konzeptuelle präsentation der beziehungen und die verknüpfung rein taktiler qualitäten mit der präsentation zunächst vorallem von objekten…die die bedeutungsbeziehungen und die semantischen komplikationen in form eines neuen zugangs zum solitären gestus artikuliert, zu seiner materialisierung und thematisierung als dem elementarsten oder primärsten konzept der malerei, aber auch auf dauer die semantischen paradoxe verfolgt, die wir durch diese minimale artikulation der malfläche vergegenwärtigen können.
JOSEF BAUER beteiligte sich an einer reihe von ausstellungen visueller poesie und textrealisationen im breiten internationalen und auch im heimischen österreichischen kontext, aber seine arbeitsweisen und die einzigartigkeit der von ihm formulierten problematik grenzten sich auf den ersten blick ab von der großen mehrheit der übrigen, die von der skala der möglichen formen der visualisierung von texten auf dem papier gefangen waren, von den absolut rationalen bis zu den äußerst expressiven, aber selbstverständlich auch von denen, die die semantik bis zur rein ästhetischen qualität nichtsemantischer strukturen reduzierten, bis zu denen, die in der verschiedenartigen organisation und artikulation der fläche, möglichkeiten zur bereicherung der semantischen komponente fanden. JOSEF BAUER war von anfang an anders als die masse der konkreten und visuellen poeten jener zeit, als hätten ihn mehr – allerdings in sehr gegen die tradition verstoßender weise transformierte – bildhauerische und malerische verfahren interessiert, die er mit der eigenen körperlichkeit und mit der eingliederung des textes, verknüpfte. die bedeutung dieses, seines andersseins ist noch markanter, wenn wir uns klar machen, wann diese werke zu entstehen begannen, und wenn wir das mit einigen, später in österreich und auch anderswo, angebeteten künstlern vergleichen. wenn er von einer bestimmten problematik besessen ist, entstehen gruppen von arbeiten, in denen er die verschiedenen aspekte dieses problems erforscht. die menge dieser arbeiten ist jedoch kein selbstzweck – sie lässt uns leichter erkennen, wie er sich der optimalen lösung eines bestimmten problems annähert und wie er auf verschiedenen wegen die verschiedenen charakteristiken und aspekte entdeckt, die für das finden der optimalen form der künstlerischen mitteilung von bedeutung, aber auch ideal unter dem gesichtspunkt unserer perzeption sind…
als ERSTER in österreich und im weiten umkreis, begann er seine aufmerksamkeit auf die problematik der beziehung des menschlichen körpers und seiner interaktion mit dem bildhauerischen objekt zu richten (was dann viel später bei anderen künstlern, vor allem bei FRANZ WEST, hoch geschätzt wurde). doch er war es, der diese problematik als pionier bereits im jahr 1967 in den bereich der kunst einbrachte, nämlich mit seinen nackenstützen, originellen, abstrakten, bildhauerischen formen aus polyurethanschaum, mit denen der künstler und andere beteiligte in interaktion treten und deren wirkung sie physisch wahrnehmen konnten…so demonstrierte er eine neue wechselseitigkeit von menschlichem körper und seinem bildhauerischen artefakt, zu einem zeitpunkt, in dem er damit de facto die problematik der BODY ART vorwegnahm, wobei sein objekt, das der betrachter manipulieren konnte, zugleich eine autonome, abstrakte, bildhauerische form aus weichem material blieb. am meisten erweiterte er dann wohl die damaligen vorstellungen von VISUELLER POESIE, zu deren Ausstellungen er eingeladen wurde, durch seine räumlichen Realisierungen und Installationen, denen er selbst den charakteristischen Titel TAKTIL gab…
hierher gehörten nicht nur die klein dimensionierten papierarbeiten aus, auf verschiedenste weise zusammengedrückten zeichen oder die ensembles von solchen, sondern vorallem die realisierungen, die es erlaubten, eine bestimmte mit ihnen durchgeführte räumliche aktion aufzuzeichnen, oder die noch radikaleren installationen und aktionen mit, in verschiedener weise übermäßig vergrößerten, GRAPHEMEN. die erste gruppe wird von einer serie von arbeiten repräsentiert, bei denen die spur der hand, die das betreffende zeichen (L,T usw. in der serie handalphabet, 1968) umschlossen hatte, in form eines gpsabdrucks erhalten blieb. mit einer gruppe von einigen graphemen, die als neue form eines bildhauerischen werks an langen stangen angebracht waren, konnte der künstler selbst im verlauf einer aktion verschiedene beziehungen zwischen den einzelnen zeichen demonstrieren. eine ähnliche aktion realisierte er im jahr 1975 auf der ausstellung KUNST AUS SPRACHE in den räumlichkeiten des WIENER MUSEUM DES XX.JAHRHUNDERTS, der ersten gesamtösterreichischen ausstellung zum thema der NEUEN POESIE…
alle bemühten wir uns zu dieser zeit um eine neubewertung der visuellen möglichkeiten eines textes, aber meistens waren das kleinformatige arbeiten auf papier oder aus papier – auch JOSEF BAUER schuf selbstverständlich systematisch eine reihe derartiger arbeiten, aber darüber hinaus gelang es ihm als einzigem aus dem gesammten kreis, der aus künstlern der ganzen welt bestand, diesen bereich des künstlerischen schaffens auch noch durch seine äußerst wirkungsvollen lösungen zu bereichern, deren einzigartigkeit wir wohl zu recht gerade darin sehen, wie er das interesse an der ästethik des visuellen textes, mit der monumentalität und stofflichkeit des bildhauerischen naterials verbindet…
auch schuf er übermäßig große isolierte grapheme als verhältnismäßig robuste objekte, mit denen einige besucher aus eigenem interesse wiederum in interaktion treten und die sie entsprechend deren form oder ihrer eigenen gefühlslage manipulieren konnten…und er brachte es auch fertig, ein einziges graphem, nämlich A, den anfang des alphabets und damit den beginn unserer beziehung zur welt des textes, als monumentale plastik in der ecke der galerie zu präsentieren…und zugleich schuf er eine ganze reihe von kleinformatigen kollagen, für welche die verwendung seiner handschrift charakteristisch war, womit er die individualität seiner artikulation mit der semantik des verwendeten wortes oder der verwendeten wortgruppe verknüpfte – damit löste er auch die klein dimensionierte sphäre der arbeit mit dem wort auf eine originelle weise, durch die verknüpfung zweier „sprachen“: der gefundenen, meistens gedruckten fotografie und des handschriftlichen textes.
…der gesamte bereich TAKTILER GRAPHEME wurde auch von objekten begleitet, die, ebenso wie die gipsspuren der menschlichen hand an den buchstaben, durch entsprechende materialisierungen der gegenwart eines menschlichen gestus an gebrauchsgegenständen, einem buch, einem spielzeug usw. entstanden waren. diesen bereich erforschte der künstler wieder mit großer erfindungskraft und originalität, ohne sich allzu sehr den kopf darüber zu zerbrechen, ob es eine für ihn wichtige kategorie gibt, wo wir sie einordnen können – es geht hier einfach um ein weiteres kapitel seiner kunst…
von anfang an arbeitete er mit aufgefundenenund auch mit eigenen texten, wobei er allmählich die möglichkeit entdeckte, den gips durch beton zu ersetzen, mit welchem er die aufgefundenen objekte und die dreidimensionalen texte übergoss. das ist eine weitere große entdeckung die das werk von JOSEF BAUER hervorbrachte (und das erinnert uns daran, dass es als seine grundlage, trotz der verwendeten materialien, in sich etwas bildhauerisches hat…).der farbige gussbeton wird so schrittweise zu einer methode, verschiedene objekte ästhetisch und kommunikativ umzuwerten: eigentlich handelt es sich um gegossene farbe, die allerdings im bereich der objekt- und der textkunst vermutlich nur selten appliziert wird…
mit der zeit ersetzt bauer den beton durch eine feinere pigmentmasse, die es ihm erlaubt, den malerischen gestus maximal zu isolierenund ihn so optimal zu präsentieren und zu thematisieren…und wiederum untersucht er diese ganze skala in allen ihren aspekten: zu recht erweckte die fotografie „LANDSCHAFTSMALEREI, BLICK GEGEN NORDEN“, 1999, das interesse der museen. auf der fotografie sehen wir die hand des künstlers, die einen einzigen materialisierten, isolierten, roten malerischen gestus in die luft hält: welche reinheit eines prägnanten konzepts, welche fähigkeit konzeptuelles denken in malerei zu übertragen und welche fähigkeit, diesen gestus praktisch von jeglicher unterlage zu isolieren! der künstler untersuchte nacheinander verschiedene formen isolierter malerischer aufzeichnungen, die er dann an einen im vorhinein gewählten ort, auf ein bild, an ein objekt o.ä. übertragen kann. aber vor allem für die wahrnehmung des betrachters hat er die traditionelle verbundenheit der unterlage des bildes mit der malerischen aufzeichnung aufgehoben…
…die bezeichnung der farbe als solche wurde nämlich zu einem weiteren bereich der arbeit des künstlers mit dem text, auf ganz logische weise, arbeitete er doch mit graphemen und mit anderen textsequenzen seit dem beginn der sechziger jahre: die erste skizze, eine textzeichnung, stammt aus dem jahr 1961: von der hand des künstlers stehen hier, so wie er einst seine kollagen mit handschriftlichen vermerken versah, zwei wörter: das wort blau in roter farbe, das wort rot in blauer farbe. das ist also das direkte gegenteil der bevorzugten konzeptuellen operation, der tautologie, welche einige betrachter seinerzeit sogar mit diesem bereich der kunst gleichsetzten. das ist allerdings eine semantische komplikation, wenn ich mir diesen terminus unseres mailänder kollegen und freundes UGO CARREGA ausleihen darf, der in den sechziger jahren die gruppe TOOL gründete, die sich mit verschiedenen formen der neuen poesie befasste…
…mit der zeit entstehen auch bilder, auf denen das semantische Pparadoxon eine zusammenstellung von drei farben sichtbar macht ( UND DIE SUMME DER FARBEN, 1987), und schließlich reduziert der künstler im gegensatz dazu die farbe des wortes dadurch, dass er es aus einer völlig monochromen fläche hervortreten lässt (auf einer gelben fläche ist als relief das wort rot zu identifizieren, ein paradoxon ist auch in dem titel ZWEIFARBENBILD – ROT enthalten usw…diese letzten arbeiten stellen zugleich auch eine bereicherung der sphäre der monochromie dar, die ihrem wesen nach immer von den subtilen unterschieden zwischen dem schaffen der einzelnen autoren getragen wird – und nun kommt auch noch das wort hinzu (ich kann mich nicht erinnern, dass einer der bedeutenden monochromen maler diese element benutzt hätte) und zugleich ein neues konzeptuelles problem, das über der zeit steht und gewiss ein relevantes kapitel im werk des künstlers bleiben wird. die subtilität der monochromen malerei paraphrasierte der künstler verbal in einem siebdruck aus dem jahr 2003, auf dem er nacheinander die bezeichnungen aller zugänglichen töne der farbe rot abdruckte und so quasi die bildlichen farbparadoxa seiner semantischen komplikationen in die gestalt eines textes umwandelte, der in verschiedenen formen seit beginn der sechziger jahre das wesentliche bewegungsmoment seines werkes darstellt…
…für mich stellt das werk JOSEF BAUERS wirklich eine außerordentliche qualität dar, deren bedeutung über die grenzen österreichs deutlich hinausreicht und zu dem wesentlichsten aus jener kategorie der kunst gehört, die konzeptuelle anregungen weiterentwickelt zu neuen originellen und bisher noch nie gesehenen formen.

quelle der textpassagen: KATALOG JOSEF BAUER, TAKTILE POESIE, edition grenzgänger, folge 44, 2008, DR. ALDEMAR SCHIFFKORN
text: JIRI VALOCH, CZ
übersetzung: MAG. WALTER ANNUß, AUT
mitarbeiter: MAG. VACLAV MALINA, CZ

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